Die Hansestadt Lübeck kann aufatmen: Der Tourismus floriert, der Hafen im Heilbad Travemünde auch. Doch der ersehnte Aufschwung fördert ein vertracktes Problem – Hafen und Heilbad geraten in Konflikt. Denn die Frachter und Fähren, denen Ostseegäste gern zuwinken, belasten die Luft massiv. Kaum ein Kurgast weiß, dass ein mittelgroßes Seeschiff mehr Schadstoffe ausstößt als eine Flotte von tausend Lastwagen. Schon vor zwei Jahren warnte die Lokalpresse: »Die Grenzwerte für den Titel Ostseeheilbad werden in Travemünde nicht mehr eingehalten. Der Titel ist in Gefahr!«

Der Titel ist trotz der Zunahme des Schiffsverkehrs inzwischen gerettet – auf dem Papier. Die Anforderungen an die Luft für ein »Ostseeheilbad« wurden kurzerhand so umformuliert, dass Heilbad und Hafen formal wieder harmonieren.

Doch die zunehmende Verschmutzung lässt sich nicht einfach per Federstrich beseitigen, das wissen auch die Senatoren in Lübeck. Was Travemünde plagt, ist kein lokales, sondern ein globales Schifffahrtsproblem. Es stinkt von Turku bis Tokyo, von Hamburg bis Haiti. Darum sucht Lübeck auch die Unterstützung der Ostseeanrainerstaaten und der EU, um mit dem internationalen Projekt New Hansa rauchenden Schiffen den Kampf anzusagen.

In diesem Verbund plant die Travestadt Millioneninvestitionen für ein Pilotprojekt, das Schiffe im Hafen völlig von Lärm und Gestank befreien soll. Das Rezept lautet, allen Pötten während der Hafenliegezeit die Maschinen auszuschalten, insbesondere die Hilfsdiesel zur Erzeugung des an Bord benötigten Stroms. Den liefert fortan ein dickes Kabel am Kai. Für die notwendige Energie sorgen saubere Kraftwerke an Land.

Projektleiter Ralf Giercke, bei den Lübecker Stadtwerken zuständig für Umweltschutz, zählt auf, was die Luft in Travemünde belastet: »Aus der Schifffahrt stammen hier 90 Prozent des Schwefeldioxids, 60Prozent des Feinstaubs, jeweils 70 Prozent der Stickoxide und des Benzols, 80 Prozent vom Ruß.« Das sei durch ein umfangreiches Forschungsprojekt belegt. Warum aber machen Schiffsdiesel so viel Dreck, und zwar weltweit? Mehrere Effekte wirken zusammen

• Der Schiffsverkehr boomt. Er hält die globalisierte Wirtschaft in Schwung, macht den Warenfluss unschlagbar billig. Wo viel Treibstoff verfeuert wird – die Kosten für ein großes Schiff erreichen mehrere zehntausend Dollar pro Tag –, ist viel Rauch.

• Zweitens qualmen billige Treibstoffe besonders stark. Harter Wettbewerb und steigende Ölpreise zwingen die Reeder, scharf zu rechnen. Am billigsten sind Schweröle mit hohem Schwefelanteil. Sie kosten deutlich weniger als Rohöl. Darum fahren mittlerweile fast alle Hochseeschiffe damit.

• Drittens freut dies die Mineralölwirtschaft, die ihr Hauptgeschäft mit leichten Bestandteilen des Rohöls macht, mit Benzin, Diesel und Heizöl. Sie muss ihre teuren Destillate zwecks Luftreinhaltung möglichst entschwefeln. Wenn nämlich Schwefel, der im Rohöl natürlich vorkommt, verbrennt, entsteht ein stechend riechendes Gas: Schwefeldioxid. Dieses bildet in der Lunge oder zusammen mit der Feuchtigkeit in der Luft ätzende Schwefelsäuren – Teil des gefürchteten »sauren Regens«. Obendrein fördert Schwefel die Ruß- und Partikelbildung in Heizungen und Motoren und beeinträchtigt Abgaskatalysatoren. Also weg damit vom Land aufs Meer.

Detlef Brandenburg, Pressesprecher der Deutschen BP und Aral, sagt: »An deutschen Tankstellen gibt es keine Kraftstoffe mehr, die über zehn ppm Schwefel enthalten.« Zehn ppm (parts per million) sind zehn Millionstel Anteile Schwefel im Benzin oder Diesel. Schweröl hingegen enthält durchschnittlich 2,7 Prozent Schwefel. Das entspricht satten 27.000 ppm. Da ein Schiffsdiesel etwa zweihundertmal so viel Power entfaltet wie ein Lastwagenmotor und die Abgase ungefiltert durch seinen Schornstein jagt, wird verständlich, warum er stinkt wie eine Armada von Lkw.

Das wissen auch die Eigner, insbesondere die Reeder von Kreuzfahrtschiffen, die ebenfalls gern mit Schweröl fahren. Um peinliche Rußflecken auf den weißen Smokings der Gäste zu vermeiden, sorgen moderne Kähne mit hohen Schornsteinen und ausgetüftelter Abgasführung – und nicht etwa mit Filtern – für »unsichtbaren« Rauch, invisible smoke .

Auf hoher See werden Abgase ohnehin nicht überwacht, die freie Schifffahrt unterliegt auch nicht dem Kyoto-Protokoll. Die Internationale Schifffahrts-Organisation (IMO), der maritime Ableger der UN, schreibt lediglich einen oberen Grenzwert von 4,5 Prozent Schwefel im Schweröl vor – ein extrem hoher Wert, der praktisch nie erreicht wird. Die äußerst laxen Umweltstandards haben die Meere in sulfur sinks verwandelt – in Schwefelsenken, in die abgeführt wird, was in Zivilisationsnähe unerwünscht ist. »Schiffe sind Müllverbrennungsanlagen«, sagt Eike Lehmann, Präsident des Verbands Deutscher Ingenieure und Professor für Schiffsbau.

Freie Meere und freie Marktwirtschaft haben so zu einer gigantischen Umlenkung der Schwefelströme vom Land auf die See geführt – die Umweltpolitik der reichen Industriestaaten wirkte dabei kräftig mit. So drängte auch Deutschland auf die rasche Einführung schwefelfreier Kraftstoffe. Das berechtigte Streben hatte Rückwirkungen auf die Raffinerien: Dort lässt sich Schwefel prinzipiell aus dem Erdöl entfernen, etwa durch Einsatz von Wasserstoff und so genanntes Cracken (Aufbrechen großer Moleküle). Doch das ist teuer und kostet Energie, dabei steigen die CO 2 -Emissionen.

Billiger und einfacher ist es, von Natur aus schwefelarmes Erdöl zu importieren, etwa aus der Nordsee und Libyen. Die schwefelreichen »sauren« Sorten überlässt man etwas günstiger den Raffinerien in den ärmeren Ländern.

In der Nähe von Schipperrouten und Häfen verändert sich das Klima.

Dort reichert sich Schwefel generell an: in den Raffinerien. Vor allem in den nicht mehr destillierbaren Rückständen. Dieses »Rückstandsöl« ist nichts anderes als das Schwer- oder Bunkeröl, das dann die Schiffe tanken. Früher verheizten auch Kraftwerke Schweröl. Doch in Westeuropa sind diese Dreckschleudern fast verschwunden, denn sie erfordern heute aufwändige Entschwefelungs- und Abgasreinigungsanlagen; die Umweltstandards an Land sind streng. Billiger ist das ungefilterte Verbrennen in Schiffsdieseln auf See. Das alkalische Meerwasser neutralisiert die Schwefelsäure. Saurer Regen, Ruß- und Staubpartikel belasten nicht mehr Land und Leute. Wo ist dann das Problem?

Vor allem im massenhaften Einsatz von Schweröl auf See. Allein in den Gewässern der EU werden jährlich mehr als 35 Millionen Tonnen verbrannt, weltweit sind es mehr als 120 Millionen Tonnen. Der Bedarf steigt. Schon in den neunziger Jahren hatte die schwedische Forstindustrie Alarm geschlagen, weil ihre Küstenwälder versauerten. Während an Land die Schadstoffemissionen sinken, nehmen sie entlang der Schifffahrtsrouten zu – und ein Großteil der Hauptverkehrsachsen verläuft küstennah. Eine Studie der EU prognostiziert bereits für 2010, dass die Schwefeldioxidemissionen in ihren Gewässern fast so hoch ausfallen wie aus sämtlichen Quellen an Land.

Wissenschaftler um Hartmut Graßl vom Hamburger Max-Planck-Institut haben kürzlich die Folgen von Schiffsemissionen auf das regionale Klima untersucht. Dabei fanden sie direkt über dem Ärmelkanal und den Küsten der Irischen See deutlich mehr und dauerhaftere Bewölkung als in deren naher Umgebung. Auch über drei stark schadstoffbelasteten Häfen, darunter Rotterdam und Amsterdam, fanden sie mehr Wolken als in Vergleichsgebieten im Hinterland oder über der Nordsee.

Verursacher der Wolken sind Schiffsemissionen, insbesondere Schwefeloxide, Stickoxide und Russpartikel. Auch John Burrows von der Universität Bremen beobachtet von Schiffen erzeugte Wolken. Shiptracks lassen sich bei bestimmten Wetterlagen von Satelliten aus verfolgen und überdecken Seegebiete wie ein enges Netz.

Seit langem ist bekannt, dass schwefelhaltige Aerosole einen abkühlenden Effekt auf das Klima haben. Ähnlich wie die daraus entstehenden Wolken reflektieren die feinen Tröpfchen Sonnenlicht, was die Bodentemperatur senkt. Im Endeffekt dürfte also die Verlagerung der Schwefelemissionen von Land auf See den Landratten eine Erwärmung, den Fischen Kühlung beschert haben.

Nicht nur die Klimawirkung, auch der Ferntransport feiner Partikel wurde unterschätzt. Bei entsprechendem Wind gelangen die Emissionen von der See bis ins Ruhrgebiet oder nach Rheinland-Pfalz. Außerdem stammt das Wasser, das über Land aus den Wolken fällt, größtenteils aus den Meergebieten – und enthält saures Schwefeldioxid. Die EU will deshalb nicht mehr tatenlos zusehen, wie die Versuche zur Luftreinhaltung an Land von den Dreckschleudern auf See konterkariert werden. Seit Mai dieses Jahres gilt die gesamte Ostsee als Schwefelsondergebiet, als Sulfur Emission Control Area (Seca). Schiffe dürfen hier nur noch mit Schweröl fahren, das maximal 1,5 Prozent Schwefel enthält. Der erste Sünder, ein liberianischer Tanker, erhielt in dieser Woche ein Bußgeld von 500 Euro aufgebrummt – ein Taschengeld. Seit dem 11. August darf auch jede Fähre, die regelmäßig EU-Häfen anläuft, nur noch schwefelreduzierten Kraftstoff nutzen. Von Mai 2007 an werden Nordsee und Ärmelkanal zum Seca-Gebiet.

»Das sind Schritte in die richtige Richtung, aber für uns ist das viel zu wenig«, sagt Ralf Giercke aus Travemünde. 15.000 ppm sind in der Tat mit einem Heilbad schwer vereinbar. Doch Schiffe lassen sich nicht so einfach vom Kai aus mit Strom versorgen, indem man ein dickes Kabel mit einer Steckdose an Bord verbindet. Eine passende Dose muss erst einmal vorhanden sein, und davon hat jede Hafenbehörde ihre eigene Vorstellung.

Los Angeles zum Beispiel versucht wie Lübeck, Schiffe sauber zu halten – mit Strom vom Kai. Die Kalifornier liefern 6600 Volt, die Deutschen jedoch 10.000. Je nach benötigter Leistung an Bord stöpselt der Seefahrer am Pazifik bis zu neun Kabel in neun Stecker. Jedem Globetrotter, der mit dem Problem unterschiedlicher Stecker und Spannungen konfrontiert worden ist, leuchtet daher ein, dass sich die Idee mit dem sauberen Strom vom Kai nur durchsetzen wird, wenn sich die Schifffahrt dies- und jenseits des Atlantiks auf ein einheitliches System einigt.

Für diesen kniffligen Job haben die Lübecker Stadtwerke den Germanischen Lloyd ins Boot geholt. Diese Organisation mit Hauptsitz in Hamburg ist eine Art Schiffs-TÜV, sie prüft Schiffsneubauten und betreut fast die Hälfte aller Containerkähne, die bereits über die Weltmeere kreuzen, auf ihre Sicherheit und Tauglichkeit. Jens Altmann soll für den Germanischen Lloyd den globalen Einheitsstecker durchboxen. »Das ist schwierig«, sagt er, »denn fast jedes Schiff hat beim Strom seine Insellösung.« Nicht nur die Spannungen variieren an Bord, sondern auch die Frequenzen. Mal sind es 50, dann 60 Hertz. Er muss also möglichst viele Häfen und Reeder unter einen Hut bekommen und die IMO überzeugen, in der mehr als 140 Nationen die Regeln für die Schifffahrt abstecken.

Dass gut gemeinte Umweltvorschriften auch Probleme hervorrufen können, davor warnt Altmanns Kollege Hans-Joachim Götze, Motorenexperte beim Germanischen Lloyd. Große Container- oder Kühlschiffe benötigen hohe Stromleistungen von bis zu zehn Megawatt. »Dafür muss man erst einmal große Kraftwerkskapazitäten schaffen und entsprechende Stromleitungen im Hafen verlegen. Das kann sehr teuer werden«, sagt er. Die EU schreibt ab 2010 vor, dass der während der Liegezeit im Hafen benutzte Brennstoff nur noch 0,1 Prozent Schwefel enthalten darf. Hilfsdiesel benötigen dann einen separaten Tank mit sauberem Treibstoff. Oder soll der Reeder darauf bauen, ab 2010 in jedem EU-Hafen einen Stromanschluss anzapfen zu können?

Zweifel sind angebracht, zumal schon das Treibstoffmanagement im Innern eines Schiffsbauchs äußerst komplex ist. So müssen Hilfsdiesel mit ihrer Abwärme das zähe Schweröl für das Hauptaggregat flüssig halten. Der teerartige Kleister lässt sich nur im heißen Zustand pumpen und muss vor dem Verbrennen aufbereitet werden. Zunächst hat das Schweröl einen Tag lang im »Setztank« zu stehen, damit sich Sand und Wasser absetzen. Nach deren Entfernung wird die heiße Teerbrühe mit Zentrifugen und Filtern von Feststoffen gereinigt und fließt in einen Tagestank. Dieser Vorrat ist wichtig, damit Schiffe auf See auch dann fahrtüchtig bleiben, wenn die aufwändige Vorreinigung mal wegen Verstopfung ausfällt. Stünden alle Ölbrenner still, würde das Schweröl fest. Soll man elektrisch zuheizen? Ingenieuren graust es vor solchen Zusatzinstallationen.

Gravierender jedoch ist die Grundsatzfrage, wohin all der Schwefel wandert, wenn die EU sauberere Treibstoffe vorschreibt. Auch Amerikaner und Japaner werden nicht tatenlos zusehen, wie vor ihren Küsten Ruß und Gestank zunehmen. Umfassende Reinheitsvorschriften in der reichen Welt aber könnten eine Kettenreaktion auslösen – mit noch mehr Schwefel-Dumping zulasten der armen Länder. Mit Verschieben der Abfälle aber schließt man die maritime Schwefelsenke nicht. Langfristig sieht Volker Brenk, beim Umweltbundesamt zuständig für Schifffahrt, die sauberste Lösung daher im Verbrennen des Schweröls in Kraftwerken an Land, inklusive Entschwefelung und Abgasreinigung. Das beendete nicht nur die Müllverbrennung auf See, sondern würde auch verheerende Havarien wie bei den Tankern Erika und Prestige vor der bretonischen und spanischen Küste verhindern: Die Schrottkähne transportierten giftiges, krebserregendes Schweröl, das sich erst nach Jahren im Wasser abbaut.

Als Müllverbrenner ist aber auch jeder Frachter eine Giftwanne: Jeder heutige Riese tankt bereits so viel Schweröl wie ein kleiner Tanker.